Ein offener Brief

Anfang September hat sich unser Vereinsmitglied und die ehemals geplante Schulleiterin für die DSD, Monika Brosch, ihrem Herzen Luft gemacht und einen offenen Brief verfasst. Diesen Brief, mit dessen Betrachtungen wir nicht nur sehr übereinstimmen, sondern der unserer Meinung nach auch durch Monikas jahrzehntelange Erfahrung im öffentlichen Schulbetrieb eine besondere Beachtung verdient, haben wir an die Schulausschüsse der Stadt und des Landtags, aber auch an die Fraktionen und Bürgermeister der Stadt geschickt. Wir taten dies in der Hoffnung, einige der Beweggründe für die Idee einer neuen Schulform aufzeigen zu können und vor allem auch, dass dieser Brief zum Nachdenken darüber anregt, wie wir gemeinsam mit der Stadt- und Landespolitik einen Weg finden können, dieses Schulprojekt umzusetzen. Wir haben auf den Brief zwei Antworten erhalten, in denen uns ein Mangel an Zuständigkeit und Einfluss der Empfänger mitgeteilt wurde, sei es durch die Stellung in der Opposition des Landtags oder der Unmöglichkeit auf verwaltungsrechtlicher Ebene in das Verfahren eingreifen zu können.

Nachfolgend ist der Text des Briefes zu lesen.


 

Seit dem Herbst 2017 begleite und beobachte ich die Bemühungen des „Förderverein Demokratische Schule Düsseldorf e.V.“ zur Gründung einer Demokratischen Schule nach dem Pädagogischen Konzept der Sudbury Valley School. Diese Schulen gibt es weltweit – und auch in Deutschland existieren schon Schulen, die mit diesem Konzept arbeiten und bei externen Prüfungen gute bis sehr gute Ergebnisse erzielen und ihren Abgänger*innen somit einen guten Start ins Leben ermöglichen.

Warum geht das nicht hier in unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen?

Diese Frage stelle ich mir mit meinen 69 Jahren, nachdem ich die Bildungslandschaft NRW spätestens seit meinem Referendariat 1976 aus vielen Perspektiven kennen gelernt habe.
Im Regierungsbezirk Düsseldorf war ich 38 Jahre Realschullehrerin, davon 15 Jahre Konrektorin an einer Düsseldorfer Realschule. Außerdem habe ich mehrere Jahre an der VHS Düsseldorf im Bereich „Nachträgliche Schulabschlüsse“ gearbeitet und als Fachberaterin für Beratungslehrkräfte an Realschulen die Beratungskultur und deren Themen ausführlich kennen gelernt.
Auf Landesebene NRW habe ich in den 1990er Jahren mit anderen Lehrer*innen und Schulpsycholog*innen im Landesinstitut für Weiterbildung in Soest das Programm für die einjährige Ausbildung von Beratungslehrkräften konzipiert.
Schulformübergreifend war ich tätig in der Fortbildung für Beratungslehrkräfte, in Arbeitskreisen zur Suchtprävention, zur Ausbildung von Mediator*innen, bei Fortbildungen zu sexualisierter Gewalt, im Umgang mit Schulverweiger*innen, zu Jungen- und Mädchenförderung und zum dem großen Feld von Migration und Integration (Schulamt Düsseldorf).

In allen Schulformen, zu allen Themen und bei den noch gar nicht erwähnten fachlich-methodischen Arbeitstreffen zu einzelnen Unterrichtsthemen/fächern ging es immer wieder um diese Kernfragen:

⇒ Wie können wir es schaffen, dass Schülerinnen und Schüler gern und freiwillig lernen?

⇒ Wie können wir eine gerechte Zensurengebung erreichen?

⇒ Wie können wir die Zahl der „Sitzenbleiber“ reduzieren?

⇒ Wie können wir die Kinder und Jugendlichen zukunftsfähig bilden?

⇒ Wie können wir Softskills Wert schätzen?

⇒ Wie können wir in großen Klassenverbänden individuelle Förderung und Forderung erreichen? (Junge/Mädchen – unterschiedliche Interessen – unterschiedliches Lerntempo)

⇒ Wie können wir in der Schule die Entwicklung von Angst–Versagen–seelischer Not–Gewalt gegen sich und andere erkennen und auflösen?

⇒ Wie können wir eine menschenfreundliche/salutogene Atmosphäre schaffen, in der sich alle am Schulleben beteiligten Personen wohlfühlen?

 

Die Probleme sind so vielfältig und die Alltagssituation in den Regelschulen so verfahren, dass Schule nur noch mit einem Netzwerk von „Reparaturwerkstätten“ auf Staatskosten vor dem Kollaps bewahrt werden kann.
Es wird nicht das System den darin lebenden Menschen (Lehrerschaft – Schülerschaft – Elternschaft) angepasst, sondern die Menschen müssen sich dem System anpassen.
Gelingt ihnen das nicht, werden sie zur Reparatur geschickt:

Schüler*innen gehen auf Staatskosten zur Jugendberatung, zur Mädchenberatungsstelle, zur Suchtberatung, zur Schulpsychologischen Beratungsstelle, zum Kinderarzt (wo sie nicht selten mit einer Dauermedikation wieder heraus kommen), zur Logopädie, zur Begabtenförderung, zum Kinder- und Jugendpsychologen, zur Musiktherapie, zur Ergotherapie,….

Eltern wird der Rat gegeben, zum Jugendamt, zur Familienberatungsstelle, zur Familientherapie, zur Erziehungsberatung, zur Eheberatung oder in Selbsthilfegruppen zu gehen.

⇒ Und für Lehrerinnen und Lehrer steht ebenfalls die Schulpsychologische Beratung, mit Einzel- und Gruppenterminen, mit selbststärkenden Fortbildungen und ambulanten Hilfen zur Verfügung. Ansonsten sind da noch die Hausärzte, die Psycholog*innen, die Psychiater*innen für ambulante Hilfe und letztendlich die Krankenhäuser und Kliniken für stationäre Aufenthalte. All diese Kosten werden von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten übernommen. (Die Potsdamer Lehrerstudie hat schon im Jahr 2000 festgestellt, dass etwa 60% aller Lehrenden in Deutschland kritische berufsbezogene Erlebens- und Verhaltensmuster aufweisen. Aus: Adnan Hamzic: Brennen ohne auszubrennen -… 6/2021 erschienen bei ART Publishing)

All dieses Wissen ist bisher noch nicht bei den schulischen Entscheidungsträgern angekommen. Hier ist nur ein „Weiter so!“ mit vielleicht kleinen Veränderungen zu erleben und man wundert sich, warum sich kein spürbarer Erfolg einstellt, sondern eher noch eine Zunahme der Hilflosigkeit, die mit zunehmend rigiden Maßnahmen beantwortet wird.

Im Rahmen der Pisa-Untersuchungen und durch Kontakte mit dem Ausland über das Comeniusprojekt, an dem unsere Schule teilnahm, und das Düsseldorfer Netzwerk für nachhaltige Bildung erfuhr ich schon früh von anderen Schulkonzepten. Bestärkt wurden diese Erfahrung durch wissenschaftliche Untersuchungen von Pädagog*innen, Therapeut*innen, Psycholog*innen und Neurowissenschaftler*innen.

Es gibt im Ausland und in anderen Bildungssystemen viele Beispiele gelingenden Lernens!

Grundlagen dafür sind z.B.

  • die (zeitweise) Auflösung von Klassenverbänden! (Finnland)
  • Kein Sitzenbleiben (skandinavische Länder, Großbritannien)
  • Feedback für Schülerinnen und Schüler aber auch für Lehrerinnen und Lehrer, bzw. die letzte Lerneinheit (Niederlande)
  • Transparenz
  • Echtes Mitspracherecht
  • Wertschätzung der Person in ihrer Vielfalt …..

 

Nun gibt es seit über 15 Jahren eine Gruppe engagierter Eltern, die sich in Düsseldorf aufrichtig für eine Alternative bemühen. Sie haben sich unterschiedliche pädagogische Modelle angeschaut, alternative Schulen besucht, internationale Beispiele in der Literatur und auf Kongressen kennen gelernt. Letztendlich haben sie sich für das Modell der Demokratischen Schule nach dem Modell der Sudbury Valley School entschieden.

Grundprinzipien dieser Schulform sind:

  • Freie Themen- und Methodenwahl
  • Erwachsene sind Lernbegleiter*innen und stehen immer zu einempartnerschaftlichen Kontakt zur Verfügung.
  • Alle an der Schule Beteiligten haben das gleiche Stimmrecht, wenn es umEntscheidungen geht, die die Allgemeinheit betreffen: Gelder, Programm,Besuche, Unterrichtsgestaltung, Hausregeln, Personal.
  • Jede*r ist für sich und sein Verhalten verantwortlich.
  • Jede*r ist auch für seine Umgebung, die Gemeinschaft und Zukunftsfähigkeitseines Handelns verantwortlich.

!Und da sind schon viele Antworten auf das oben beschriebene Dilemma zu finden!

Die Gründungsinitiative hat bis zum Frühjahr 2018 alles vorbereitet, was für die Antragstellung zur Schulgründung nötig ist:

  • Ein pädagogisches Konzept
  • Verträge mit Lehrer*innen aller Fächer und Altersstufen
  • Ein schulfähiges Gebäude
  • Sportstätten, an denen das angeboten wird, was auf dem Schulgelände nicht möglich ist
  • Angemeldete Schüler*innen für den Schulstart und die Folgejahre und eine volle Warteliste

Um für die Sache zu werben, wurden auf politischer Ebene des Landes NRW mit den schulpolitischen Sprecher*innen von vier Landtagsparteien Gespräche geführt und alle bekundeten Interesse und Wertschätzung.

Es fanden mehrere Gespräche mit den Verantwortlichen der Bezirksregierung Düsseldorf statt, die die eigentliche Entscheidungsbefugnis haben. Dort befinden wir uns auf der verwaltungsrechtlichen Ebene.

Alle von der Gründungsinitiative vorgenommen Verdeutlichungen bzw. Anpassungen des Pädagogischen Konzepts konnten nicht verhindern, dass es zwei Jahre nach Einreichung eine Ablehnung des Antrags gab.

Nun erleben wir auf der städtischen Ebene das gleiche Muster:
Politisch wünscht man unsere Schule, verwaltungsrechtlich kann sie aber nicht mehr unterstützt werden. Das Liegenschaftsamt fühlt sich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber in der Pflicht, das Gebäude neu auszuschreiben.

Damit ist der Gründungsinitiative der Boden unter den Füßen entzogen, denn ohne ein Gebäude kann vor Gericht keine Klage zur Schulgründung gewonnen werden.

Hier steht der Elternwille von mindestens 160 Eltern für eine Schulgründung einer eventuell zu erwarteten Geldsumme gegenüber.
Auch hier wurde wieder auf politischer Ebene (von den schulpolitischen Vertreter*innen des Schulausschusses und von den Vertreter*innen des Anregungs- und Beschwerdeausschusses der Stadt Düsseldorf) zum Ausdruck gebracht, wie sehr man das Engagement und den Elternwillen schätzt, die Entscheidung auf Verwaltungsebene sieht aber dann anders aus.

Wie kann es sein,
dass die Schule derart ausgebremst wird, obwohl sie ein ernsthaftes, gut durchdachtes, auf Dauer angelegtes, zukunftsfähiges Modell ist.

Ist es
Angst vor dem Neuen? (Wir werden unseren Schulbetrieb wissenschaftlich begleiten lassen.)
Angst vor dem Erfolg? (die Ergebnisse anderer Schulen befinden sich im Konzept) Angst vor Kontrollverlust? (Schüler*innen lernen aus sich heraus und ohne Angst) Fehlendes Vertrauen in die guten Erfahrungen anderer?
Fehlendes Vorstellungsvermögen in das Gute im Menschen?
Neid, weil andere unbeschwerter aufwachsen könnten gepaart mit der Unfähigkeit, Fehler zuzugeben? (ein bekanntes Phänomen in der Psychologie)

Ich stelle mir mittlerweile ernsthaft die Frage, was in unserem Entscheidungskanon verrückt ist.
Welchen Einfluss hat die Legislative, welchen die Exekutive?
Welche Möglichkeiten haben wir bei der Judikative?

Und nachdem ich alles nochmals durchgelesen habe, frage ich mich auch, wie kommt mein Schreiben bei den Medien (der 4. Macht im Staat, wie es Thema war im sozialwissenschaftl. Unterricht Klasse 7) an und wer nimmt sich dieses Themas an?

Ich wünsche mir für die Initiative in Zukunft ehrliche, engagierte, zugewandte und bereitwillige Gesprächspartner*innen, bei denen menschliches Glück ein höheres Gut ist als Geld und Konformismus – also gute Vorbilder für unsere Kinder und Jugendlichen.